BMI

Martin Rittau

(1887-1972)

Martin Rittau war als Oberkriegsgerichtsrat während des „Dritten Reichs“ für Todesurteile an deutschen Soldaten verantwortlich. Wie konnte er trotzdem nach 1945 wieder in den Staatsdienst gelangen?

FotografIn: unbekannt / Quelle: BArch Pers 101 Bild-050085-001

Porträt von Martin Rittau aus dem Jahr 1950

Ein ehemaliger Oberkriegsgerichtsrat in der Abteilung „Wiedergutmachung“

Die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg fahndete seit August 1988 nach einem ehemaligen BMI-Mitarbeiter. Sein Name: Martin Rittau. Französische Behörden hatten zuvor ein Verfahren wegen Kriegsverbrechen und Mord gegen ihn eingeleitet. Die Anklage bezog sich auf den Zeitraum zwischen Mai 1940 und April 1945, in der Rittau NS-Richter und Oberkriegsgerichtsrat gewesen war. Er wurde unter anderem beschuldigt, hunderte französische Kriegsgefangene unter Verletzung der Genfer Konventionen zum Tode verurteilt zu haben. Als sich herausstellte, dass Martin Rittau bereits 1972 in Frankfurt am Main verstorben war, wurde das Verfahren eingestellt. 

Rittau hatte während der NS-Zeit eine steile Karriere gemacht. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten übernahm er im Januar 1934 eine Stelle als Staatsanwalt in Frankfurt am Main. 1936 wechselte er nach Breslau (Wroclaw) und blieb dort bis zum Kriegsausbruch. Im September 1939 wurde er Armeerichter und ab Mai 1940 dienstaufsichtsführender Oberstkriegsgerichtsrat der Heeresjustiz in Kassel. 1941 wurde er Armeerichter der 1. Panzer-Armee und 1943 Richter beim Reichskriegsgericht, zunächst in Berlin, später in Torgau/Sachsen. Dort war er bis 1945 als Oberkriegsgerichtsrat tätig. Das Reichskriegsgericht war zur Zeit des Nationalsozialismus das höchste deutsche Militärgericht. Es war zuständig für Fälle von Landesverrat, aber auch von Wehrdienstverweigerung und „Wehrkraftzersetzung“. Darunter verstanden die Nationalsozialisten jede kritische Äußerung oder Handlung, die den vermeintlichen „Endsieg“ gefährdete. In seiner Funktion als Oberkriegsgerichtsrat war Rittau auch zuständig für Todesurteile an deutschen Soldaten. 

Neben seiner Tätigkeit als Oberkriegsgerichtsrat verfasste Martin Rittau einen Kommentar zum Militärstrafgesetzbuch, das bis 1944 in fünf Auflagen erschien. In seinem Vorwort zur dritten Auflage von 1940 schrieb er: „Es bleibt die Pflicht des Richters, auch die alten Vorschriften im Geist der nationalsozialistischen Rechtserneuerung auszulegen und fortzubilden.“ Obwohl selbst kein Mitglied der NSDAP, ordnete er also ganz bewusst seine juristische Unabhängigkeit den verbrecherischen Zielen des Nationalsozialismus unter und forderte dies auch von anderen Richtern. 

Noch vor der Niederlage der Deutschen geriet Rittau im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Allerdings blieb er nur knapp drei Monate inhaftiert. Ein Blick in die Entnazifizierungsakten verrät den Grund für die kurze Haftzeit: Rittau inszenierte sich vor den Alliierten als Gegner des Nationalsozialismus, der die Wehrmacht angeblich „sauber“ halten wollte. Tatsächlich hätte er mindestens als „belastet“ (Kategorie II) eingestuft werden müssen, auch wenn er kein NSDAP-Mitglied war.

Nach seiner Entlassung war Martin Rittau längere Zeit arbeitslos und fand schließlich eine Anstellung als Organist in einer katholischen Kirche. Doch schon im November 1947 wurde er von der Staatsanwalt Frankfurt am Main wieder in den Dienst berufen. Die Behörde wusste um seine Belastung und schenkte seinen Ausflüchten Glauben – wider besseren Wissens.

Rittau stieg später zum Behördenleiter der Oberstaatsanwaltschaft Hanau auf. 1950 beauftragte das „Amt Blank“, die Vorgängerinstitution des heutigen Verteidigungsministeriums, Rittau damit, einen Entwurf für ein neues Militärstrafgesetzbuch vorzulegen. Dieses „Wehrstrafgesetz“ erschien im März 1957. Bis auf kleine Änderungen ist das Gesetzbuch noch heute gültig.

Obwohl Martin Rittau bereits 1952 aus dem juristischen Dienst ausgeschieden war, wirkte er von 1953 bis 1958 als Referent im Bonner Innenministerium. Dort war er in der Abteilung „Wiedergutmachung“ für die Entschädigung von Personen zuständig, die zwischen 1933 und 1945 aus „politischen Gründen“ aus dem öffentlichen Dienst entfernt worden waren. Er bearbeitete dabei ausgerechnet solche Fälle, bei denen es um ehemalige Berufssoldaten und Wehrmachtbeamte ging – also genau die Gruppe, die er als Oberkriegsgerichtsrat während der NS-Zeit juristisch verfolgt hatte. In dieser Position arbeitete Rittau bis 1958 für das BMI.

Lara Büchel

Lebenslauf

14.7.1887: geboren in Meseritz (Międzyrzecz)

1907-1910: Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Breslau (Wroclaw) Marburg/Lahn und Königsberg (Kaliningrad), Abschluss mit der 1. Staatsprüfung

ab 1910: Referendar beim Amtsgericht in Neustadt (Wejherowo), Landgericht und Staatsanwaltschaft Danzig sowie beim Oberlandesgericht Marienwerder

1914: 2. Staatsprüfung

1914-1918: Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg

1919-1920: Gerichtsassessor bei den Staatsanwaltschaften Danzig, Graudenz (Grudziądz) und Köslin (Koszalin)

1931-1933: Staatsanwalt in Gleiwitz (Gliwice)

1934-1935: Erster Staatsanwalt in Frankfurt am Main

1935-1945: Justizdienst des Heeres

1936-39: Oberkriegsgerichtsrat

vom 1.9.1939-31.3.1940: Armeerichter der 6. Armee

seit Mai 1940: dienstaufsichtsführender Oberstkriegsgerichtsrat der Heeresjustiz in Kassel

seit Dezember 1941: Armeerichter bei der 1. Panzer-Armee

seit Januar 1943: Richter beim Reichskriegsgericht Berlin-Charlottenburg

1944: Oberstkriegsgerichtsrat

1945: Generalrichter Oberstaatsanwalt außer Dienst

1945-1947: Organist der katholischen Pfarrkirche in Sprendlingen bei Offenbach

1947-1948: Staatsanwalt in Frankfurt am Main

1948-1949: Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main

1949-1952: Behördenleiter der Oberstaatsanwaltschaft in Hanau und ab 1951 in Darmstadt

Juli 1952: Pensionierung nach Überschreitung der Altersgrenze

Seit 1953 Referent in der Abteilung Wiedergutmachung des BMI

1972: verstorben in Frankfurt am Main

 

 

Weitere Biografien