Seit etwa Mitte der 1980er Jahre wurde die NS-Geschichte großer Wirtschaftsunternehmen wie Daimler-Benz, Bosch oder Volkswagen aufgearbeitet. Forschungen zu weiteren Wirtschaftsinstitutionen, Vereinen und Verbänden folgten in den 1990er Jahren und seit Mitte der 2000er Jahre wird auch die NS-Geschichte einzelner Ministerien bearbeitet.
2005 berief der damalige Außenminister Joschka Fischer eine unabhängige Expertengruppe unter dem Vorsitz von Eckart Conze, um die NS-Vergangenheit des diplomatischen Dienstes zu erforschen. Die Studie über das Auswärtige Amt erntete zwar viel Kritik, stieß allerdings in den folgenden Jahren eine ganze Welle ähnlicher Forschungsprojekte zu den großen Bundesbehörden an: zum Justiz-, Finanz-, Arbeits- und Wirtschaftsministerium sowie zum Bundeskriminalamt und zum Bundesnachrichtendienst.
Das Bundesinnenministerium (BMI) stand einer solchen Aufarbeitung zunächst zurückhaltend gegenüber. 2005 hatte der damalige Innenminister Otto Schily noch erklärt, es gebe „keine ‚nationalsozialistische Vergangenheit‘, die der ‚Aufarbeitung‘ bedarf“[1]. Erst knapp zehn Jahre später leitete Innenminister Thomas de Maizière einen Kurswechsel ein. Im Dezember 2014 bat er das Institut für Zeitgeschichte München - Berlin (IfZ) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) entsprechende Forschungen zur Geschichte der Innenministerien durchzuführen.
Unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Wirsching (Direktor des IfZ) und Prof. Dr. Frank Bösch (Direktor des ZZF) forschen sechs Postdoktoranden und zwei Doktoranden zur Geschichte des BMI und des Ministeriums des Innern der DDR. Innovativ ist vor allem der vergleichende Ansatz. Die Forschergruppe untersucht für den Zeitraum von 1949 bis 1970, welche Kontinuitäten aber auch welche Wandlungsprozesse es gegenüber der NS-Zeit beim Personal und der Sachpolitik in beiden Ministerien gab.
Im Oktober 2015 veröffentlichten die Historikerinnen und Historiker ihre ersten Ergebnisse in einer Vorstudie. Mehr als 1100 Biographien von leitenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hatten sie bis dahin auf eine mögliche NS-Belastung untersucht. Einen Monat später, im November 2015, präsentierte die Forschergruppe ihre Ergebnisse auf der Fachtagung „NS-Belastung und politischer Neuanfang“ im BMI, auf der auch Innenminister de Maizière den Beginn der Hauptstudie ankündigte. Im Publikum saßen neben anderen Geschichtswissenschaftlern, Vertretern der Presse und der interessierten Öffentlichkeit auch Studierende des 8. Jahrgangs des Masterstudiengangs Public History.
Seit 2008/09 bieten die Freie Universität Berlin und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) gemeinsam den anwendungsorientierten Masterstudiengang Public History an. Er wendet sich an alle Studierenden, die sich für die Vermittlung von Geschichte zum Beispiel in Museen, Gedenkstätten, Verbänden, Agenturen oder in den Medien interessieren. Das BMI bat schließlich den Lehrstuhl Didaktik der Geschichte des Friedrich-Meinecke-Instituts der FU Berlin und das ZZF, die Ergebnisse der Forschergruppe einer nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit auf spannende und verständliche Weise zugänglich zu machen.
Im Sommersemester 2016 entwickelten die Studierenden unter Anleitung von Prof. Dr. Martin Lücke (FU Berlin) und Dr. Irmgard Zündorf (ZZF) das Konzept für eine virtuelle Ausstellung, das seit dem Wintersemester 2016/17 von einer kleineren Arbeitsgruppe als Website umgesetzt wurde. Hauptthema ist dabei der Umgang mit dem Nationalsozialismus in beiden deutschen Innenministerien zwischen 1949 und 1970.
Unter dem Motto „Geschichte mit Geschichten erzählen“ sollen die thematischen und biographischen Beiträge zeigen, dass auch die Geschichte von Behörden interessant sein kann. Eine Chronik und ein Glossar bieten hier eine zeitliche bzw. begriffliche Orientierung. Mit der virtuellen Ausstellung, die am 26. Juni 2017 eröffnet wurde, sollen die Besucherinnen und Besucher nicht zuletzt auch neugierig gemacht werden auf die umfangreiche Hauptstudie der Forschergruppe, die im Juni 2018 veröffentlicht wird.
[1] Wiegrefe, Klaus: De Maizières Kurswechsel: Innenministerium lässt seine Nazi-Vergangenheit erforschen, in: Spiegel Online, 4.2.2015, Link.
Über das Forschungsprojekt
Prof. Dr. Frank Bösch
Direktor am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Prof. Dr. Andreas Wirsching
Direktor am Institut für Zeitgeschichte München - Berlin