Mentalität und Prägung
Wie gingen das MdI und BMI während der 1950er Jahre mit NS-belasteten Personen um?
Im MdI wurden deutlich weniger NS-Belastete eingestellt als im BMI. Die SED-Führung verfolgte in ihrer Personalpolitik das Ziel, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit zu vollziehen. Sie wollte deshalb ihren neuen Staatsapparat mit antifaschistisch eingestelltem Personal besetzen. In Bereichen, in denen großer Personalmangel herrschte, griff sie jedoch auch auf solche Fachkräfte zurück, die NS-Organisationen angehört hatten oder vor 1945 in der Rüstungsindustrie tätig gewesen waren. Vor allem bei ausgewiesenen naturwissenschaftlichen und technischen Experten hinterfragten die Sowjetische Militäradministration (SMAD) beziehungsweise die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) die NS-Biographien weniger kritisch. Aufgrund ihres Fachwissens waren solche Experten schwer ersetzbar. Auch ehemalige Wehrmachtsoffiziere, darunter einige Generale, hatten zum Teil hohe Funktionen im MdI inne. Sie waren zum Beispiel für den Aufbau der Nationalen Volksarmee (NVA) zuständig. Voraussetzung hierfür war jedoch der Besuch einer Antifa-Schule und das Bekenntnis zum Aufbau des Sozialismus.
Das BMI sah bei der Einstellung von Personal in der Regel über eine bestimmte formale NS-Belastung hinweg. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer NS-Organisation war nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium im Bewerbungsverfahren. Vor allem bei technischen Experten, zum Beispiel Ärzten oder Ingenieuren, die während des „Dritten Reichs“ in vermeintlich „unpolitischen“ Bereichen gearbeitet hatten, stellten die Verantwortlichen mögliche Bedenken über eine NS-Belastung zurück. Der Großteil des BMI-Personals war in der NS-Zeit im Verwaltungs-, Justiz- und Polizeidienst tätig gewesen. War zum Zeitpunkt der Einstellung nichts über eine etwaige Beteiligung an NS-Verbrechen bekannt, stellte das BMI in der Regel auch keine weiteren Nachforschungen darüber an. Der Großteil der späteren BMI-Beamten war ohnehin im Entnazifizierungsverfahren als „entlastet“ (Kategorie V) eingestuft worden.
Für die Einstellung war die Kategorie, die der Einzelne im Entnazifizierungsverfahren erhalten hatte, jedoch nicht immer entscheidend. Bei der Einstellung achtete das Innenministerium anfangs darauf, besonders belastete Gruppen auszuschließen beziehungsweise in niedrigen Positionen einzustellen. Dazu gehörten Personen, die vor dem 30. Januar 1933 der NSDAP beigetreten waren (sogenannte Alt-Pgs) sowie ehemalige Gestapo- und SS-Mitglieder. In Einzelfällen machte das Ministerium jedoch auch hier eine Ausnahme.
1951 wurde das „131er-Gesetz“ verabschiedet. Durch dieses Gesetz gelangten viele Beamte wieder in den Staatsdienst, die im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen ihre Stellung verloren hatten. Dabei wurden vereinzelt auch Beamte wiedereingestellt, die man nach heutigen Maßstäben als NS-Täter bezeichnen könnte.
Lara Büchel
Zur Funktion des Selbstverständnisses des Beamtentums
Dr. Frieder Günther
Historiker am Institut für Zeitgeschichte München - Berlin