Mentalität und Prägung
Welche Einstellungen zum Nationalsozialismus dominierten die Gesellschaft Anfang der 1950er Jahre?
Die amerikanische Militärregierung führte nach 1945 zahlreiche Erhebungen über die Nachwirkungen des Nationalsozialismus in den von den Westmächten besetzten Zonen durch. Bei einer Umfrage im April 1946 gaben rund 75 Prozent der Befragten an, Hitler trage die „Hauptschuld“ an den Verbrechen des NS-Regimes. Bei einer weiteren Umfrage im August 1948 meinten rund 57 Prozent, der Nationalsozialismus sei eine „gute Idee“ gewesen. Nur 28 Prozent lehnten ihn grundsätzlich ab. Die Umfragen spiegeln die Haltung einer Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung in dieser Zeit anschaulich wider: Viele waren bestrebt, die schrecklichen Erlebnisse des Krieges zu vergessen. Sie versuchten ihre individuelle Verantwortung zu verdrängen und auf eine kleine Machtclique rund um Hitler abzuwälzen.
1951 erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vor dem Bundestag die „Wiedergutmachung“ für die Opfer des Nationalsozialismus zur „moralischen Pflicht“. Als Rechtsnachfolger des „Dritten Reichs“ sollte die Bundesrepublik auch für ihre finanzielle Entschädigung aufkommen. Allerdings wurden viele Opfergruppen bei den Wiedergutmachungszahlungen nicht berücksichtigt. In den Entschädigungsgesetzen tauchten immer wieder Klauseln auf, die zum Beispiel sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Sinti und Roma, Homosexuelle und als „asozial“ Verfolgte grundsätzlich von Zahlungen ausschlossen. Die Anerkennung und rechtliche Gleichstellung als NS-Verfolgte gestaltete sich für diese Opfergruppen als ein bis heute andauernder und schwieriger Prozess.
In einer Umfrage des Allensbach-Instituts aus demselben Jahr zeigte sich ein gespaltenes Meinungsbild in der Bevölkerung: Nur die Hälfte der Befragten sprach sich für eine Wiedergutmachung aus, ein Drittel lehnte sie dagegen ab. Bei einer weiteren Umfrage des Instituts hielten 70 Prozent die jüdischen Opfer für entschädigungsberechtigt – über 90 Prozent stimmten hingegen für Entschädigungszahlungen an Kriegswitwen und -waisen sowie Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten. Auch dies spiegelt eine gängige Haltung der Nachkriegszeit wider: Viele bezeichneten sich selbst als „Opfer“ des Zweiten Weltkriegs und der Alliierten, obwohl sie teilweise Anhänger oder Nutznießer des NS-Regimes gewesen waren. Insgesamt stand in den Nachkriegsjahren die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die 1950er Jahre waren in Westdeutschland geprägt vom Wiederaufbau und „Wirtschaftswunder“ sowie einer „Schlussstrichmentalität“.
Auf dem Gebiet der DDR existierte keine unabhängige Forschungsstelle, die die öffentliche Meinung zur NS-Vergangenheit untersuchte. Allerdings kann man davon ausgehen, dass sich die Ansichten der Bevölkerung über die Zeit des Nationalsozialismus in Ost- und Westdeutschland anfangs nicht grundsätzlich unterschieden.
In der DDR bestimmte eine kommunistische Führungselite die öffentliche Meinung, die häufig unter der Verfolgung des NS-Staates gelitten hatte. Die herrschende Staatspartei SED sah sich in der Tradition der KPD-Widerstandskämpfer. Sie bezeichnete die DDR als antifaschistischen Staat der Arbeiter und Bauern, der nicht in der Nachfolge des „Dritten Reichs“ stand. Daher lehnte die SED auch jede Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes ab.
Der Umgang mit der NS-Zeit war in der DDR staatlich reglementiert. Träger der offiziellen Erinnerungspolitik wurde auf Beschluss der SED das 1953 gegründete Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer. Die SED-Führung erklärte vor allem die deutsche Arbeiterschaft zum Opfer der NS-Diktatur – sie sei von Hitler getäuscht und missbraucht worden. Diese staatlich gelenkte Geschichtspolitik hatte eine schuldentlastende Funktion und stand einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen der NS-Vergangenheit im Weg.
Lara Büchel