Belastung

Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus wird immer wieder danach gefragt, welche Personen hinsichtlich ihrer Vergangenheiten belastet waren. Was aber bedeutet in diesem Fall belastet? Wann gilt eine Person als belastet und wann nicht? Und gibt es Tätigkeiten im Nationalsozialismus, die in höherem Maße als belastend gelten als andere?

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Belastung ist ein vielschichtiger Begriff mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen. Eine klar umrissene Definition von allgemeiner Gültigkeit ist kaum möglich. Grundsätzlich ist bei der Frage nach Belastung zwischen der zeitgenössischen Sicht der Nachkriegszeit und der heutigen historischen Sichtweise zu unterscheiden. Die Definition von „NS-Belastung“ hat sich im Laufe der Zeit verändert. Aspekte, die heute als belastend gelten, wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit anders bewertet.

Auch heute existieren verschiedene Perspektiven auf den Themenkomplex der NS-Belastung, je nach Sichtweise und Interessenschwerpunkt. Fragt man rückblickend zum Beispiel danach, welche Erfahrungen jemand aus der Zeit vor 1945 mitbringt, stehen die konkreten Handlungen beispielsweise in der Wehrmacht oder als Verwaltungsbeamter, also die „materiale“ Belastung, im Mittelpunkt des Interesses. Fragt man dagegen danach, welche Formen der Belastung für eine Einstellung toleriert wurden und welche nicht, schaut man eher nach der „formalen“ Belastung durch Mitgliedschaften in NS-Organisationen.

Eindeutig zu klären ist die „formale“ Belastung durch eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder in anderen NS-Organisationen wie SA, SS, Deutsche Arbeitsfront oder Hitler-Jugend. Doch obwohl eine derartige Belastung statistische Untersuchungen ermöglicht, lassen sich zum Beispiel kaum alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder auf dieselbe „Belastungsstufe“ stellen. Die Beweggründe für einen Parteieintritt waren verschieden: Während einige aus ideologischer Überzeugung der NSDAP beitraten, dürften bei anderen eher opportunistische Gründe zu einer Parteimitgliedschaft geführt haben. 

Auch die „materiale“ Belastung durch konkrete Taten innerhalb der NS-Verbrechen ist nicht allgemeingültig zu fassen. Die Unterscheidung zwischen einer erzwungenen Einberufung oder einer freiwilligen Meldung zur Wehrmacht sagt wenig über eine vermeintliche Belastung der Person aus. Nicht jeder Wehrmachtssoldat handelte im Krieg auf dieselbe Weise. Vielmehr gilt es zu klären, an welchen Handlungen jemand als Soldat teilgenommen hat, ob dieser zum Beispiel aktiv an Gewaltverbrechen hinter der Front beteiligt gewesen war.

Im Gegensatz zu diesen noch eindeutiger zu fassenden Belastungsformen lassen sich die ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus und eine tiefe nationalsozialistische Gesinnung kaum quantifizieren. 

Ein erster Versuch, den Grad der Belastung zu benennen, zeigte sich in den Entnazifizierungsverfahren der Nachkriegszeit: Hier wurde zwischen Hauptschuldigen, Belasteten, Minderbelasteten, Mitläufern oder Entlasteten unterschieden. Daran anschließend entstanden bis heute umgangssprachliche Zuschreibungen wie „Nazi“ oder „Mitläufer“.

Zudem gab es unterschiedliche Sichtweisen auf die Frage nach einer NS-Belastung in Ost und West. In der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR wurde die NS-Vergangenheit einzelner Personen teilweise weitaus strenger beurteilt als in der Bundesrepublik. Im ostdeutschen Ministerium des Innern (MdI) reichte vielfach eine ermittelte formale Belastung, z.B. eine Mitgliedschaft in der NSDAP, als Ausschlusskriterium für eine Anstellung in Staatsdienst aus. Im westdeutschen Bundesministerium des Innern (BMI) hingegen war etwa die Hälfte der Mitarbeiter Mitglied in der NSDAP gewesen. Damit wurde dieses Kriterium für die Beurteilung der Belastung des eigenen Personals eher weniger herangezogen. Praktische Berufserfahrungen in der Verwaltung wogen stets stärker. Fest umrissene Belastungskriterien, auf Grundlage derer die Einstellungen im BMI erfolgte, gab es nicht. Vielmehr wurde in jedem einzelnen Fall neu entschieden. So gab es auch im BMI Personen, denen aufgrund einer formalen Belastung durch die ehemalige Mitgliedschaft in NS-Organisationen eine Anstellung verweigert wurde. Vor allem eine Mitgliedschaft in der SS galt in vielen Fällen durchaus als Ausschlusskriterium.

Die Frage nach einer möglichen Belastung muss sich rückblickend außerdem nicht zwangsläufig allein auf die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft konzentrieren. Auch Handlungen aus der Zeit der Weimarer Republik konnten mitunter in die Beurteilung des Belastungsgrades mit einfließen, beispielsweise die Beteiligung an Straßenkämpfen und anderen Aktionen der SA vor 1933.

Das Verständnis und die Beurteilung von Belastung wurden so stets aufs Neue ausgehandelt und sind bis in die heutige Zeit Veränderungen unterworfen. Erst durch eine allmählich einsetzende Debatte innerhalb der Zivilgesellschaft wurde eine wachsende Sensibilisierung gegenüber personellen Kontinuitäten zur NS-Zeit erreicht.

Im Zuge dieses gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses wurden erste Kriterien der Belastung umrissen und Kritik an der Tatsache laut, dass es belastete Eliten vermochten, in hohe Positionen innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsrepublik aufzusteigen.

David Schwalbe

 

 

Parteibuch der NSDAP

Quelle: Wikimedia Commons

Parteibuch der NSDAP

FotografIn: unbekannt / Quelle: BArch Bild 119-0052-01

SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Dachau, 1933
Angehörige der Hitlerjugend auf dem Weg zum Reichsparteitag in Nürnberg, um 1938

Fotograf: Carl Weinrother / Quelle: BArch Bild 146-1982-095-09

Angehörige der Hitlerjugend auf dem Weg zum Reichsparteitag in Nürnberg, um 1938
Regal mit nationalsozialistischen Akten im Berlin Document Center, 1947

Fotograf: Otto Donath / Quelle: BArch Bild 183-M1129-305

Regal mit nationalsozialistischen Akten im Berlin Document Center, 1947

Vereinfachte Darstellung nach: Dr. Wolfgang Proske (Hg.), Täter Helfer Trittbrettfahrer 5, NS-Belastete aus dem Bodenseeraum, Gerstetten 2016

Zur Problematik des Belastungsbegriffs

Prof. Dr. Frank Bösch
Direktor am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Prof. Dr. Andreas Wirsching
Direktor am Institut für Zeitgeschichte München - Berlin

Dr. Dominik Rigoll
Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam