MdI
Willi Stoph
(1914-1999)
Für die SED galt Willi Stoph bei seiner Aufnahme in die Partei als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. In den Jahren darauf durchlief er eine steile politische Karriere. Tatsächlich lässt sich seine politische Aktivität während der NS-Zeit aber nur schwer nachvollziehen.
Mitläufer oder Widerstandskämpfer?
Fast vier Jahrzehnte gehörte Willi Stoph zur politischen Führungsriege der DDR. Er war Mitglied im Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED, Minister des Innern und Minister für Nationale Verteidigung. Von 1973 bis 1976 war er als Staatsratsvorsitzender de facto Staatsoberhaupt der DDR. Zu Beginn der 1970er Jahre galt er als potentieller Nachfolger von Walter Ulbricht.
In den 1950er Jahren waren manche Beobachter verwundert, wie schnell Stoph in den Kreis der SED-Spitzenfunktionäre aufsteigen konnte. Es war durchaus ungewöhnlich, dass sich ein ehemaliger Unteroffizier der Wehrmacht, der mutmaßlich keine nennenswerte KPD-Karriere vor 1933 vorzuweisen hatte, nach so kurzer Zeit im Zentrum der Macht wiederfand.
Wegen fehlender Quellen sind Willi Stophs politische Aktivitäten vor und während des Zweiten Weltkrieges nur schwer nachzuvollziehen. Anhaltspunkte sind die Lebensläufe, die er 1945 und 1946 für seine (Wieder-)Aufnahme in die KPD bzw. SED und zu weiteren Anlässen in den Folgejahren anzufertigen hatte. Darin behauptete Stoph, ab 1931 für den Geheimdienst der KPD und damit im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv gewesen zu sein. Seine Aufgaben dort gab er jedoch wohl als bedeutender an, als sie in Wirklichkeit gewesen waren: Von der Bewertung seines Werdeganges durch die SED hingen sowohl seine Position in der Partei als auch potentielle Funktionen in der Politik ab.
Mit der Zerschlagung der illegalen Strukturen der KPD durch das NS-Regime habe Stoph bis 1934 den Kontakt zu seinen Verbindungsmännern verloren. Er widmete sich anschließend wieder seinem gelernten Beruf und fand nach drei Jahren der Arbeitslosigkeit eine Anstellung im Baugewerbe. 1935 wurde er zum Militärdienst einberufen. Dort habe er nach eigenen Angaben politische Diskussionen geführt und sei dafür trotz einiger Vorsicht mit Arreststrafen belegt worden.
Seine nachträgliche Selbstdarstellung, er habe als junger Mann dem Militär und der NS-Gesellschaft distanziert gegenübergestanden, lässt sich nicht beweisen. Ganz im Gegenteil tauchte 1960 ein mehr als 20 Jahre alter Artikel von Willi Stoph mit dem Titel „Vom Bauplatz zum Kasernenhof“ in einer Fachzeitschrift für Architektur auf. Darin pries er den volksgemeinschaftlichen Geist militärischer Manöver und schwärmte von Hitlers Geburtstagsparade. In der DDR wurde dies als Tarnung eines Widerstandskämpfers ausgelegt.
1940 in die Wehrmacht eingezogen, war Willi Stoph kaum an Kampfhandlungen beteiligt. Die Jahre ab 1943 verbrachte er infolge mehrerer Krankheiten in Lazaretten und an der Heimatfront. Nach dem Krieg berichtete er, in dieser Zeit wieder intensiven Kontakt zum kommunistischen Untergrund gehabt und Flugblätter für das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) hergestellt und verbreitet zu haben. Für kurze Zeit war er wohl auch als Verbindungsmann zur Wehrmacht aktiv gewesen.
Insgesamt kann über einige von Stophs Angaben nur spekuliert werden. Als er 1947 die Anerkennung als Opfer des Faschismus beantragte, stießen die Sachbearbeiter in seinen Ausführungen auf Widersprüche. Im Laufe der Untersuchungen fand sich eine Zeugin für seine illegalen Aktivitäten vor 1934, nicht aber für den Widerstand in den letzten Kriegsjahren. Seiner politischen Karriere schadete das nicht. Im Gegenteil: 1958 erhielt Stoph die „Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus 1933-1945“.
Christian Schmitt
Lebenslauf
9.7.1914: geboren in Berlin
1928-1931: Maurerlehre
1931: Eintritt in die KPD, anschließend im parteieigenen Geheimapparat aktiv
1935-1937: Militärdienst
1939-1940: Bautechniker bei einem Berliner Architekturbüro
1940-1943: Wehrmachtssoldat in Frankreich und in der Sowjetunion
1943-1945: Artillerie-Ersatzabteilung in Frankfurt/Oder
1945: Lehrgang und Ernennung zum Unteroffizier, später russische Kriegsgefangenschaft
1945-1947: Leiter der Abteilung „Baustoffindustrie und Bauwirtschaft bzw. Grundstoffindustrie“ bei der Deutschen Zentralverwaltung der Industrie in der SBZ
1946: Eintritt in die SED
1948-1950: Leiter der Abteilung „Wirtschaftspolitik“ beim Parteivorstand der SED
1950-1989: Mitglied und zwischenzeitlich Sekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED, ab 1953 Mitglied des Politbüros
1952-1955: Minister des Innern der DDR
1954-1964: Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates
1956-1960: Minister für Nationale Verteidigung der DDR
1963-1989: Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates
1964-1989: Vorsitzender des Ministerrates (Unterbrechung 1973-1976)
1973-1976: Vorsitzender des Staatsrates
13.4.1999: verstorben in Berlin
Porträt Willi Stophs, hier als Vorsitzender des Ministerrates der DDR, im Zuge des deutsch-deutschen Gipfeltreffens 1970 in Erfurt.