BMI

Kurt Breull

(1907-1987)

Er gehörte zu den frühen Anhängern der NSDAP. Doch mit Hilfe einer Lüge über sein Eintrittsdatum in die NSDAP wurde Kurt Breull 1948 bei der Entnazifierung entlastet und gehörte sogar im Herbst 1949 zum Gründungspersonal des BMI. Trotz seiner antisemitischen Haltung übernahm er hier 1951 das Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferat.

Kurt Breull, Porträtfoto aus der Personalakte, ca. 1949/50

FotografIn: unbekannt, Quelle: BArch Pers 101 Bild-076555-001

Kurt Breull, Porträtfoto aus der Personalakte, ca. 1949/50

Mit Lügen schaffte er es durch die Entnazifizierung und in das BMI

Trotz seiner frühen nationalsozialistischen Überzeugung wurde Kurt Breull im Entnazifizierungsverfahren entlastet und im Oktober 1949 vom BMI für das Gründungspersonal ausgewählt. Dies gelang ihm unter anderem, weil er über sein Eintrittsdatum in die NSDAP log.

Es wird festgestellt, daß Kurt Breull gemäß … der Verordnung über Rechtsgrundsätze der Entnazifizierung im Lande Niedersachsen vom 3. Juli 1948 ENTLASTET (Kat. V) ist."[1]

Als Kurt Breull diese „Entnazifizierungs-Entscheidung“ am 28. Januar 1949 erhielt, war er seit zwei Monaten aus der viereinhalbjährigen sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Mit dieser Bescheinigung bewarb er sich am 3. September 1949 um eine „Übernahme in die Bundesverwaltung“ in Bonn – der Dienstantritt sei „sofort möglich“[2]. Im Oktober 1949 wurde Breull mithilfe seines von ihm geglätteten Lebenslaufes und einiger guter Referenzen vom BMI für das Gründungspersonal ausgewählt.

Knapp drei Jahre später bewarb er sich für die Leitung des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats im BMI. In einem Lebenslauf von 1952 schrieb er, er sei der NSDAP erst 1937 beigetreten – „dem allgemeinen Zwange folgend“[3], wie ein Bekannter für ihn bürgte. Ein älterer Lebenslauf von 1936 beweist allerdings, dass er bei seiner Bewerbung und damit wohl auch beim Entnazifizierungsprozess gelogen hatte:

Nachdem ich bereits während meiner Schulzeit in den „Schutz- und Trutzbund“ eingeführt war, kam ich in der Folge zur Nationalsozialistischen Bewegung und trat im Jahre 1930 in die NSDAP ein, Mitgliedsnummer 350863."[4]

Nach den Unterlagen von 1936 habe er seit 1933 auch der „MSA“ angehört, also der Motor SA. Diese ging 1934 im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) auf, einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP, die sich neben der Verkehrserziehung unter anderem auch nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 in hohem Maße an den Deportationen jüdischer Menschen beteiligte. Beim NSKK sei er aber bereits 1938 „ausgeschieden“[5], schrieb Breull 1952 – die SA-Mitgliedschaft 1933 erwähnte er hier nicht mehr.

Erst 1957 wurde Breulls Betrug im BMI aufgedeckt – jedoch erstaunlicherweise ohne Folgen. Zu der Zeit war er bereits seit knapp sechs Jahren Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats, einer hohen Position, in der sein Verhalten rassistische und antisemitische Kontinuitäten aufwies (dazu mehr unten).

 

[1] Entnazifizierungsausschuß der Stadt Goslar, Entnazifizierungs-Entscheidung für Kurt Breull vom 20.01.1949, Goslar 28.1.1949, in: Bundesarchiv Koblenz (BArch), PERS 101/76557.

[2] Kurt Breull an die Bundesverwaltung Verbindungsstelle Nordrhein-Westfalen z. Hd. von Herrn Regierungsrat Lehmann, 3.09.1949, in: BArch, PERS 101/76557.

[3] Abschrift Eidesstattliche Versicherung, gez. Götte, Mitglied des Antifaausschusses für Stadt- und Landkreis Merseburg, in: BArch, PERS 101/76557.

[4] Lebenslauf von Kurt Breull, 10.3.1936, in: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 151/21 Bü 108.

[5] Ebd.

Porträt von Kurt Breull, ohne Datierung (ca. 1936)

FotografIn: unbekannt, Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 151/21, Bü 108

Porträt von Kurt Breull, ohne Datierung (ca. 1936)

Quelle: BArch Koblenz PERS 10176557

Entnazifizierungs-Bescheid für Kurt Breull, 1949

Ein Antisemit als Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats

Ausgerechnet einen Antisemiten beriefen die Verantwortlichen für die Personalpolitik im BMI 1951 zum Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats. Kurt Breulls Sachpolitik zeigte in den nächsten Jahren beispielhaft, welche Kontinuitäten es im Denken und Handeln bei einigen ehemaligen Nationalsozialisten noch gab.

Es klingt paradox: Gerade ein früher Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung wurde 1951 zum Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats ernannt. Als Referatsleiter war Kurt Breull auch über mehrere Jahre für das Lager „Föhrenwald“ zuständig, eine wichtige Anlaufstation für Überlebende des Holocaust in der Umgebung von München.

1949 wanderten die meisten „Displaced Persons“ aus dem Lager „Föhrenwald“ nach Israel aus. Gegen den Willen der verbliebenen Bewohner wurde 1951 die Zuständigkeit an deutsche Stellen übergeben. Auch an das BMI. Ein Jahr später spitzte sich die Lage zu. Viele der ausgewanderten „Displaced Persons“ hatten sich in Israel keine neue Existenz aufbauen können und kehrten nun nach Westdeutschland zurück.

Breull machte schnell deutlich, dass er die Rückwanderer aus Israel als „Illegale“ betrachtete, da sie weder über eine Aufenthaltsgenehmigung noch über einen deutschen Pass verfügten. Unter anderem forderte er, „die Möglichkeit der sofortigen Abschiebung innerhalb der 48 Stunden-Spanne“[1] zu nutzen.

Was Breull angetrieben haben dürfte, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Rückwanderer aus Israel abschieben zu wollen, erklärt der Historiker Frieder Günther wie folgt: Grund sei eine Verbindung gewesen „von scheinbar unpolitischer, rein sachorientierter Gesetzesgläubigkeit, Ausländerfeindlichkeit und einer antisemitischen Grundhaltung, welche schon während seiner Juristenausbildung im Jahre 1936 deutlich geworden war. Dies machte ihn zehn Jahre nach dem Ende des Holocaust unfähig zur Empathie mit jüdischen Schicksalen“[2].

Breull stieß mit seinen Ideen jedoch auf heftigen Widerstand der etwa 700 „illegalen Juden“[3] in „Föhrenwald“ sowie lokaler und internationaler jüdischer Organisationen. Angesichts der öffentlichen Meinung gab auch die bayerische Staatsregierung nach. Auf Initiative des Auswärtigen Amtes erhielten alle „Illegalen“ im August 1953 letztendlich die Zusage, dass sie ein halbes Jahr bleiben dürften und öffentliche Fürsorge bekämen. Die Frist wurde in den nächsten Jahren immer wieder verlängert – trotz großen Widerstands von Breull und dem BMI.

Als sich die Vorbereitungen für die Auswanderung über Monate und Jahre zogen, resignierte Breull mehr und mehr – bis das Lager „Föhrenwald“ schließlich Anfang 1957 aufgelöst wurde. Vier Personen wurden bis dahin abgeschoben. Die Mehrheit der Lagerbewohner wurde jedoch langfristig in der Bundesrepublik geduldet. Eine pragmatische Lösung, mit der sich auch Breull im Laufe der Zeit arrangierte. Er schien einzusehen, so Frieder Günther, dass das BMI „auf die öffentliche Meinung und politische Interessen innerhalb der Gesellschaft Rücksicht“[4] nehmen müsse.

Während einer Debatte über vermeintliche ausländische Straftäter in Franken Anfang der 1960er Jahre zeigte er sich beispielsweise bereits deutlich sachlicher. Nach einem Bericht der ZEIT[5] hatte 1964 der Bürgermeister der fränkischen Gemeinde Zirndorf in einem acht Seiten langen Brief an das BMI geklagt, dass sein Ort durch Flüchtlinge „überlastet“ sei. 92,4 Prozent aller Straftäter seien zudem ausländischer Herkunft. Der Brief landete bei Ministerialrat Breull, der schnell herausfand, dass 95 Prozent der gezählten Verbrechen Passvergehen seien. Er antwortete, dass diese Passvergehen „bei Flüchtlingen, die im allgemeinen gezwungen sind, illegal über die Grenze zu kommen, nicht als Indiz für kriminelle Gesinnung angesehen werden“ könnten. Sie seien bei anerkannten Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention „sogar straffrei“. Nach Breulls Rechnung entfielen außerdem von den übrigen fünf Prozent ausländischer Straftäter ein Prozent auf die im Ort stationierten US-Truppen.

Jakob Saß

 

[1] Niederschrift über die Besprechung im Bayerischen Staatsministerium des Innern, München, 09.06.1953, in: Bundesarchiv, Pers 101, 76555, 76557, zit. nach: Günther, Frieder: „Die Möglichkeit der sofortigen Abschiebung ausnutzen“. Das Bundesinnenministerium und die jüdischen DPs im Lager Föhrenwald, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2016, Link.

[2] Günther, Frieder: „Die Möglichkeit der sofortigen Abschiebung ausnutzen“. Das Bundesinnenministerium und die jüdischen DPs im Lager Föhrenwald, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2016, Link.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Land, Volker: Im Boot war niemals Platz, in: Die ZEIT, 03.09.2015, Link.

Schild des Lagers für Displaced Persons in Föhrenwald bei Wolfratshausen in Oberbayern, um 1950. 1951 wurde das DP Camp als "Regierungslager für heimatlose Ausländer" unter deutsche Verwaltung gestellt.

Quelle: Fotoclub Wolfratshausen e.V. und Stadtarchiv Wolfratshausen

Schild des Lagers für Displaced Persons in Föhrenwald bei Wolfratshausen in Oberbayern, um 1950. 1951 wurde das DP Camp als "Regierungslager für heimatlose Ausländer" unter deutsche Verwaltung gestellt.
"New Jersey Street" im Displaced Persons Camp Föhrenwald, 1956

Quelle: Fotoclub Wolfratshausen e.V. und Stadtarchiv Wolfratshausen

"New Jersey Street" im Displaced Persons Camp Föhrenwald, 1956

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Lebenslauf

24.9.1907: geboren in Essen

Ab 1923: während der Schulzeit Erlebnis des „Ruhrkampfes", Eintritt in den „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“

1930: Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft, Eintritt in die NSDAP

1933-1934: kaufmännische Tätigkeit, um sein Studium zu finanzieren

1935: Abschluss der juristischen Prüfung mit der Note „befriedigend“

1936: Gerichtsreferendariat. Wegen seiner antisemitischen Grundhaltung kam es zu einem Streit mit einem Richter in Hennef. Seitdem erschwerte die Justizverwaltung seinen Aufstieg als Jurist immer wieder, bis er sich reuig zeigte.

1937-1938: Übernahme in die allgemeine innere Verwaltung in Schleswig und Eckernförde

1938: Arbeit in der Landesbank in Kiel und Aufenthalt in Kopenhagen

1939: Nach großer Staatsprüfung Verwaltungsbeamter in Merseburg

1941: Ernennung zum Regierungsrat

1942: Versetzung in das Innenministerium von Württemberg, Kriegsdienst in der Wehrmacht

1944: Sowjetische Kriegsgefangenschaft

1948: Rückkehr aus der Gefangenschaft, Entnazifizierung mit der Kategorie V (entlastet)

1949: Einstellung in das BMI

1950: Ernennung zum Oberregierungsrat

1951: Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats im BMI, unter anderem zuständig für „Föhrenwald”, ein Lager für jüdische „Displaced Persons“

1964: Wechsel in das Bundesfinanzministerium

1987: verstorben

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