Entnazifizierung

Welchen Einfluss hatte die Einstufung im Entnazifizierungsverfahren auf eine Karriere in den beiden deutschen Innenministerien?

Der direkte Einfluss der Entnazifizierungsverfahren auf eine Karriere im Bundesministerium des Innern (BMI) der Bundesrepublik lässt sich nur selten nachweisen. Indirekt zeigt sich aber, dass das BMI überwiegend Personen einstellte, die bei der Entnazifizierung in die Kategorie V, also als entlastet, eingestuft worden waren. Diejenigen, welche eine der ersten drei Belastungskategorien (Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete) aufwiesen, stellte das BMI nicht bzw. selten ein. Von den rund 240.000 Personen, welche im Rahmen der Entnazifizierung in den westlichen Besatzungszonen bzw. der Bundesrepublik „verdrängt“ wurden, war die Anzahl der als Hauptschuldige und Belastete eingestuften Personen mit 1185 allerdings extrem gering.

Das BMI ließ im Einstellungsprozess von den Bewerberinnen und Bewerbern zusätzlich zum Lebenslauf/Personalbogen Formulare ausfüllen, denen die jeweilige Entnazifizierungskategorie und eine Kopie des Entnazifizierungsbescheides beigelegt werden mussten. Die Chancen der Bewerber auf eine Karriere im Ministerium hingen sowohl vom Zeitpunkt der Bewerbung als auch von der konkreten Abteilung und hierarchischen Position im Ministerium ab. So konnten beispielsweise auch belastete Personen – insofern ihnen keine Beteiligung an NS-Verbrechen nachgewiesen werden konnte – zum Teil auf zunächst niedrigen Positionen eingestellt werden, indem sie nachwiesen, keinen antidemokratischen politischen Tätigkeiten nachzugehen. Zwar spielte in den Bewerbungsverfahren weiterhin eine Rolle, ob ein Bewerber eine formal belastende Vergangenheit aufwies, allerdings wurden die dementsprechenden Kriterien bei den Bewerbungsverfahren in den 1950er Jahren zunehmend aufgeweicht. Aspekte wie beispielsweise eine Vergangenheit im Reichssicherheitshauptamt oder eine frühere SS-Mitgliedschaft blieben jedoch nach wie vor kritische Faktoren in einer Biographie. Letztendlich entscheidend für eine Einstellung oder Beförderung waren in allen Abteilungen die fachliche Expertise, die Berufserfahrung oder der Nachweis von wichtigen Fürsprechern.

Das Ministerium des Innern (MdI) der DDR war dagegen bereit, zugunsten politischer Zuverlässigkeit eher auf fachliche Expertise oder Berufserfahrung zu verzichten. Das Ziel einer politischen und gesellschaftlichen Veränderung hin zum Sozialismus sollte nicht gefährdet werden. Der damalige Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern, Erich Mielke, äußerte beispielweise seine Einschätzung dazu mit den Worten, es sei besser, „eine Zeit lang mit weniger guten Fachkräften zu arbeiten, aber dafür die Sicherheit zu haben, dass die demokratische Entwicklung konsequent weitergeführt wird“[1]. Zudem befürchtete das MdI, sich durch die Beschäftigung von NS-belasteten Personen öffentlich angreifbar zu machen und die Selbstdarstellung der DDR als „antifaschistischen deutschen Staat“ zu beschädigen. Dies zeigt sich beispielsweise beim Umgang mit Richard Dombrowsky, bei dem das Bekanntwerden seiner SA-Vergangenheit zum Ende seiner Karriere im MdI führte.

Frederik Schetter

 

[1] Protokoll über die Konferenz der Präsidenten der DVdI mit den Chefs der Polizei der Länder und Provinzen in der SBZ und den Vertretern der SMAD am 30.10.1946, BStU, MfS, AS 229/66, Bd. 1, Bl. 43–136, hier Bl. 100.

Das Bundesministerium des Innern im März 1964 in Bonn.

FotografIn: unbekannt, Quelle: Bundesarchiv Bild 183-C0326-0050-001

Das Bundesministerium des Innern im März 1964 in Bonn.
Das ehemalige Gebäude des MdI in Berlin, Behrenstraße/Mauerstraße, 2017.

Fotograf: Jakob Saß, Quelle: privat

Das ehemalige Gebäude des MdI in Berlin, Behrenstraße/Mauerstraße, 2017.

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Dr. Dominik Rigoll
Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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